Next Organisation: Diese 3 Unternehmen leben Innovation und haben sich von gängigen Managementmodellen befreit

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Gastbeitrag von Marcus Klug

Es gibt immer mehr Menschen, die neben ihrer Arbeit eigene Projekte gestalten. Der Grund ist einfach: Viele Unternehmen haben es aufgrund überbordender Managementstrukturen versäumt, ihre Mitarbeiter kreativ abzuholen. Die nächste Organisation kehrt dieses Prinzip um: Sie involviert entweder alle Mitarbeiter als potenzielle Innovatoren oder treibt das Prinzip der Automatisierung auf die Spitze. Light Business oder Dark Business.

Wir alle haben ein bestimmtes Bild von Managern im Kopf: Im Klischee sind das Personen, die eigentlich immer arbeiten und selbst im Urlaub am Sandstrand ihr Laptop aufgeklappt haben. Und selbst mit dem „Managerismus in der modernen Form“ verbinden wir vor allem eines: Bürokratie.

„Dokumentation, Verwaltung, Kontrolle und Optimierung von Arbeitsprozessen“, wie ein Manager vielleicht dazu sagen würde. Das hat den US-amerikanischen Enthnologen und Anarchisten David Graeber auch schon einmal dazu bewogen, solche Tätigkeiten als „Bullshit Job“ zu bezeichnen. Zu diesen Jobs führt laut Graeber vor allem das künstliche Aufblähen des administrativen Sektors, ein Phänomen, das heute beinahe in allen Branchen zu beobachten ist: von Bürojobs angefangen, über den Bildungssektor hinaus, bis hin zu der Gesundheitsbranche.

Jetzt kommt die spannende Frage zu dieser Entwicklung: Wie sieht Management im Zeitalter der digitalen Transformation aus, wenn es zukünftig vor allem um Innovation, Automatisierung und bereichsübergreifende Kooperationen geht („Open Innovation“)?

Provokant formuliert: Wenn demnächst unsere Arbeit noch wesentlich mehr von intelligenten Algorithmen, Hochleistungsrechnern und Robotern bestimmt wird, braucht man für viele Aufgaben überhaupt keine Menschen mehr. Dies gilt aber nicht mehr nur für „einfache Bürojobs“, Taxifahrer und Lagerarbeiter, sondern längst auch für viele akademische Berufe, eben auch für den Manager, und zwar dann, wenn seine Aufgaben eher verwaltend und kontrollierend und weniger kreativ und coachend ausgelegt werden.

Gibt es Muster für Innovation?

Was dagegen für uns Menschen in der Zukunft besonders wichtig wird, ist unsere kreative Begabung. Im 21. Jahrhundert geht es dementsprechend darum, Organisationen aufzubauen, die bestehende Geschäftsmodelle und Strukturen radikal in Frage stellen und dazu in der Lage sind, sämtliche Mitglieder eines Unternehmens in die Innovationsarbeit mit einzubinden, bis aus ersten Ideen marktreife Produkte entstehen. Oder aus bestehenden Dienstleistungen soziale Innovation hervorgeht.

Was mich dabei immer brennend interessiert und euch sicherlich auch: Gibt es bereits heute einzelne herausragende Fallbeispiele von Unternehmen, die besonders innovativ sind und die weitgehend auf klassisches Management verzichten? Und wenn ja, wie wird Innovation in diesen Unternehmen organisiert? Wie weit geht das „Management ohne Management“?

In den folgenden Ausführungen werde ich Ihnen 3 herausragende Organisationen näher vorstellen. Eine Organisation aus der Pflege, die über kein mittleres Management mehr verfügt, und bei der es im Team keine Vorgesetzten mehr gibt. Eine Organisation aus der Software- und Hardwareentwicklung, bei der Mitarbeiter nicht so wie bei Google zu 20 Prozent, sondern zu 100 Prozent an eigenen Projekten und Produkten arbeiten. Und schließlich eine Firma ohne Menschen.

Auftritt von Christoph Jentsch bei TEDx-Talk 2017: Wie weit können klassische Managementmodelle auf der Basis von Verträgen zwischen Personen durch Code dezentral ersetzt werden?

Buurtzorg: Ausbruch aus rigiden Managementstrukturen

Das Problem: Jos de Blok arbeitete über 15 Jahren als professioneller Pfleger in Holland, übernahm später die Führung in mehreren Heimpflegeorganisationen und beschäftigte sich intensiv mit Innovation und Qualitätssicherung. Dabei leuchtete es de Blok zunehmend weniger ein, warum man Pflege in immer kleinere Bereiche hierarchisch ausdifferenzieren solle, mit strikten Ziel- und Zeitvorgaben; so wie wir das noch von Organisationen aus der Epoche der Industrialisierung gewohnt sind. Die Folge davon, was das künstliche Aufblähen von administrativen Aufgaben anbelangt, war eine Verschiebung der Primäraufgaben. Für die Kommunikation mit zu pflegenden Personen blieb im Alltag immer weniger Zeit; Pflege wurde immer mehr auf Routineabläufe wie Waschen und Nahrungszufuhr reduziert, sogenannte „Minutenpflege“, während die aufzuwendende Zeit für die Dokumentation immer weiter anstieg. In Deutschland hat das beispielsweise dazu geführt, dass viele professionell Pflegende vorzeitig aus ihrem Beruf aussteigen, weil sie keinen Sinn mehr in dieser Art von Arbeit sehen.

Die Lösung: Statt weiter auf rigides Management zu setzen, gründete de Blok 2007 ein eigenes Unternehmen, erst mit einem Team aus vier Pflegekräften. Heute sind es bereits 850 unabhängige Teams, die 70.000 Pflegebedürftige versorgen. Der springende Punkt bei Buurtzorg ist die soziale Innovation, wenn man dieses Unternehmen mit anderen Pflegeorganisationen vergleicht. Denn wie Menschen bei Buurtzorg zusammenarbeiten, unterscheidet sich stark von anderen Organisationen aus der Gesundheitsbranche, was Hierarchie und Management anbelangt. In dieser Organisation wird in Teams mit maximal 12 Personen gearbeitet, die jeweils für eine Region mit einer Bevölkerung von 5.000 bis 10.000 Personen zuständig sind, wobei die Verantwortung vom Team ausgeht, mit wechselnden Führungsparts. Und wie sieht es mit dem Management aus? Es gibt kein regionales Management auf der übergeordneten Ebene. Stattdessen werden Berater eingesetzt. Sie treffen aber nicht die Entscheidungen für das Team. Sie stehen nur bei Fragen zur Verfügung. Das Grundprinzip ist Selbstführung. Nur sehr wenig wird von oben von der Geschäftsführung vorbestimmt. Es gibt nur ein paar Grundregeln, was die Organisation der Teams anbelangt, die Jahrespläne und die Entscheidungsfindung. Und das funktioniert sehr gut!

Valve: Wenn Mitarbeiter zu 100 Prozent eigene Projekte verfolgen

Das Problem: Viele Unternehmen suchen spitzen Mitarbeiter, was deren Motivation, Kreativität und Produktivität anbelangt, wundern sich aber, dass solche Personen nicht bei ihnen arbeiten wollen, weil sie entweder bei anderen Unternehmen aktiv sind oder gleich selber gründen, entweder neben einer Anstellung oder direkt als Solopreneur. Man kann aufzählen, was so in konventionellen Unternehmen alles schief geht, wenn es um die Suche nach „highly talented people“ geht: Die meisten Mitarbeiter sind nach außen hin unsichtbar, während die Geschäftsführung und die einzelnen Führungskräfte häufig so tun, also ob alle Ideen von ihnen kommen. Dazu gesellen sich eine vertikale Hierarchie, stark aufgeblähte Verwaltungsprozesse, bis hin zu häufig vollkommen unnötigen Mitarbeiterbesprechungen und falsche Priorisierungen von Aufgaben. Und als wäre das nicht genug, gibt es auch so gut wie keine Abwechslung am Arbeitsplatz. Wenig Ortswechsel, wenig Inspiration, wenig geistige Herausforderungen . Die Gallup-Studie spricht da jedes Jahr ungefähr die gleichen klaren Worte: 15 Prozent top motiviert, 70 Prozent „Dienst nach Vorschrift“  und 15 Prozent in der inneren Kündigung.

Die Lösung: Top Kreative und Entwickler wollen selber ihre Ideen mit einbringen und auch selber Produkte oder Dienstleistungen entwickeln. Und dabei möchten Sie ebenso am Verkauf beteiligt werden, wenn diese Produkte auf dem Markt erfolgreich sind. Damit sie sich aber mehr auf ihre Ideen konzentrieren können, bis ihre Produkte Marktreife erlangt haben, ist ein ganz anderes Unternehmensumfeld erforderlich: eine kreative Ökologie. Ein solches Unternehmensumfeld setzt selbstverständlich auch voraus, dass „Mitarbeiter“ zu ernst zu nehmenden Gestaltern werden, die auch selber eigenständig denken und Verantwortung übernehmen, was den Freiheitsgrad ihrer Entscheidungen anbelangt, während Bürokratie und Management so weit wie möglich zurückgefahren werden. Genau so arbeitet Valve – ein Software- und Hardwareunternehmen mit Sitz in Bellevue im US-amerikanischen Bundesstaat Washington. Es wurde 1996 von Gabe Newell und Mike Harrington gegründet, die zuvor bei Microsoft gearbeitet haben. Bei Valve arbeiten in etwa 300 bis 400 Personen. Der Fokus liegt bei Computer- und Konsolenspielen. Und bei Valve können zukünftige Gestalter zu 100 Prozent eigene Ideen verfolgen, was die Entwicklung von neuen Spielen anbelangt. Dafür klinken sie sich entweder in bereits bestehende Projekte ein oder überzeugen andere Entwickler von ihren eigenen Ideen zu zukünftigen Spielen.

DAO: Das Prinzip der Automatisierung auf die Spitze getrieben

Das Problem: Einige Investoren im Silicon Valley besitzen sehr viel Macht. Denn sie entscheiden als Risikokapitalgeber stark daran mit, wie weit die nächste Stufe der Automatisierung von Unternehmen geht. Im besten Fall verdienen sie mit Firmenanteilen irgendwann wahnsinnig viel Geld, und zwar mit Firmen, die teilweise immer weniger Menschen als Angestellte benötigen. Ein Beispiel für eine solche Firma ist Uber – die nächste Stufe des Kapitalismus – der sogenannte „Plattformkapitalismus“.  Uber ist ein US-amerikanisches Dienstleistungsunternehmen mit Sitz in San Francisco. Es bietet in vielen Städten der Welt Online-Vermittlungsdienste zur Personenbeförderung an. Durch diesen Vermittlungsdienst, der über eine App gesteuert wird, verlieren viele Leute ihren Job. Und Uber braucht für sein Geschäftsmodell auch nicht mehr sonderlich viele Angestellte, weil sämtliche Prozesse in der Vermittlung solcher Dienste über eine digitale Plattform gesteuert werden.

Die Lösung: Die beiden Brüder Christoph und Simon Jentzsch, zwei Programmierer aus der kleinen Universitätsstadt Mittweida in Mittelsachsen dachten sich zunächst, dass es nicht richtig sei, dass lediglich eine Handvoll Investoren die Entwicklung der Technologie bestimmt, was den Grad und die Steuerung von Automatisierung anbelangt. Dann kam die Idee dazu: Wie wäre es, wenn nicht einzelne Investoren über eine solche Entwicklung bestimmen, sondern viel mehr Menschen daran beteiligt sind, und zwar dezentral? Und wie wäre es wenn die einzelnen Investoren durch Code ersetzt werden? Anders erklärt: Stellen sie sich die typische Pyramidenstruktur innerhalb eines Unternehmens vor. Für die beiden Programmierer besteht eine solche Hierarchie aus Verträgen. Zwischen all diesen Personen gibt es bestimmte Kontrakte, mit denen bestimmte Geldsummen verbunden sind. Aus der Sicht von Programmierern lässt sich das meist relativ einfach als Programm formulieren, als eine Reihe von elektronischen Wenn-dann-Beziehungen. Bei dem Projekt „DAO“, was „Decentralized Autonomous Organisation“ bedeutet, ging es um ein Sozialexperiment: Wie weit kann man die Automatisierung treiben? DAO ist dabei als Organisation ein Unternehmen für Finanztransaktionen. Die beiden Brüder haben durch Crowdfunding die bis dato größte Summe in diesem Bereich gesammelt: 140 Millionen US-Dollar, auch wenn ihr Projekt mittlerweile gescheitert ist.

Aber aus dem Scheitern können wir einige bemerkenswerte Rückschlüsse ziehen, was die nächste Stufe automatisierter Organisationen im Zeitalter der digitalen Transformation anbelangt.

Fazit: Innovation als Muster?

Die Idee der beiden Brüder Christoph und Simon Jentzsch enthält zwei Seiten: eine helle und eine dunkle. Die helle Seite: Es sollte nicht ein paar Risikoinvestoren in den USA überlassen werden, einen derart großen Einfluss auf die zukünftige Richtung der Automatisierung auszuüben. Stattdessen mehr auf Dezentralisierung in der Finanzierung zu setzen, ist erst einmal eine begrüßenswerte Idee.

Andererseits: Stellen Sie sich dabei eine solche Firma wie Uber vor. Bereits heute brauchen solche Organisationen im Kern nur wenig Menschen, die sich um Programmierung, Finanzen und Strategie kümmern. Wie werden wohl solche Firmen in der Zukunft aussehen, wenn der Grad an Automatisierung noch weiter zunimmt, und zwar weltweit?

Das konnte man auch bei Uber bereits beobachten: Am Anfang war die Euphorie bei vielen Menschen groß, sich für dieses Unternehmen als Privatperson stark zu engagieren (siehe dazu folgende Videopassage aus einer Doku), bis mehr und mehr publik wurde, welche negativen Folgen mit diesem Geschäftsmodell verbunden sind. Das sind dementsprechend die Schattenseiten dieser Entwicklung. Dark Business.

Das Muster ist dabei immer sehr ähnlich: Ein Dienst, der von Profis angeboten wird, wird in seiner bestehenden Struktur zerstört („Disruptive Innovation“) und in diesem Fall durch solche Angebote ersetzt, die von Privatpersonen kommen, während das Unternehmen dahinter lediglich die Plattform für solche Dienste stellt und davon finanziell stark profitiert, wenn man den vergleichsweise minimalen Aufwand berücksichtigt, der sich durch Automatisierung und Outsourcing ergibt.

Die andere Seite dieser Entwicklung hängt dagegen weniger mit Automatisierung und mehr mit Kreativität zusammen, sofern es Unternehmen in der Zukunft wesentlich besser als heute gelingt, kreativen und engagierten Wissensarbeitern ein Umfeld zu bieten, in dem sie ihre Ideen freier entfalten können.

Und auch hier gibt es ja in der Organisation von Innovation, was einerseits den kreativen Prozess, andererseits die Delegation von Verantwortung und Entscheidungen anbelangt („Empowerment“), verschiedene Modelle, die gewisse Ähnlichkeiten aufweisen: „Muster, die verbinden“.

Auf der organisationalen Ebene wären hier beispielsweise Überlegungen von Frederic Laloux („Reinventing Organizations“) oder Brian Robertson („Holacracy“) zu nennen: partizipative Beteiligungsmöglichkeiten über rekursive, kreisförmige Modelle und Netzwerke, in denen einzelne Teams und Gruppen mehr Verantwortung tragen, Selbstorganisation also stark an Bedeutung gewinnt, während Verwaltung und Management in ihrer Bedeutung zurücktreten, was die Frage nach mehr Innovation im digitalen Wandel anbelangt.

Sachbuch „Morgen weiß ich mehr. Intelligenter lernen und arbeiten nach der digitalen Revolution“

In dem Sachbuch „Morgen weiß ich mehr. Intelligenter lernen und arbeiten nach der digitalen Revolution“, das im März 2017 „Buch des Monats“ wurde, haben Michael Lindner und meine Wenigkeit uns auf 350 Seiten noch wesentlich genauer mit der Frage beschäftigt, wie Menschen und Organisationen, die viel mit der Anwendung, Kommunikation und Vernetzung von Wissen und Informationen zu tun haben, im Übergang zum digitalen Zeitalter mehr Innovation hervorbringen, und inwieweit solche Faktoren wie Kreativität, Achtsamkeit, Konzentration, Produktivität und ein entsprechendes organisationales Umfeld (eine kreative Ökologie) dazu beitragen. Weitere Informationen findet ihr hier.

Über den Autor

Marcus Klug, geboren 1977, ist Redner, Blogger und Autor. Neben seiner Tätigkeit als Blogger und Formatentwickler für das Dialog- und Transferzentrum Demenz (DZD) an der Universität Witten/Herdecke hat er zusammen mit Michael Lindner das Sachbuch „Morgen weiß ich mehr. Intelligenter lernen und arbeiten nach der digitalen Revolution“ verfasst, das im März 2017 „Buch des Monats“ wurde. Das Sachbuch bildet die Basis für ein eigenes Expertenprogramm als Speaker: „Wissensabenteuer für die digitale Zukunft“. Mehr unter: www.marcusklug.de.