Digitale Nomaden: Was Unternehmen von ihnen lernen können

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Digitale Nomaden: Die weite Welt ist ihr Büro - Foto: Death to Stock Photos
Digitale Nomaden: Die weite Welt ist ihr Büro - Foto: Death to Stock Photos

Gastbeitrag von Katja Andes

„Schönen Urlaub!“ – Diesen Satz höre ich fast jedes Mal, wenn ich meine Koffer packe, um von Spanien aus zu arbeiten. Auf den Hinweis hin, dass ich dort arbeite, ernte ich in 90 Prozent der Fälle nur noch fragende und ungläubige Blicke.

Wie eine wachsende Zahl von Selbstständigen und Unternehmern habe ich das Glück, ortsunabhängig arbeiten zu können, und bin weder an ein Büro noch an einen festen Standort gebunden. Genau genommen gibt es diese Art zu arbeiten schon recht lange, doch in den letzten Jahren nimmt die Zahl derjenigen, die so arbeiten (möchten), konstant zu und die Bewegung hat sich den Namen „digitale Nomaden“ gegeben. Ortsunabhängig zu arbeiten, bedeutet nicht, dass man ständig unterwegs ist. Es heißt vielmehr, dass der Lebens- und Arbeitsort bewusst nach den Anforderungen der aktuellen Aufgabe und nach den persönlichen Präferenzen ausgewählt wird.

Vom Wunsch nach Freiheit und dem Ringen nach Fachkräften

Ich war selbst lange in einem großen Konzern angestellt und habe mich vor knapp drei Jahren entschieden, mich selbständig zu machen, um mehr Freiheiten zu haben. In meinem persönlichen Umfeld nehme ich immer mehr vor allem junge Arbeitnehmer wahr, die desillusioniert und unzufrieden mit ihrem Job sind. Häufig sind es Hochschulabsolventen, die viel erwarten und nach einiger Zeit im Berufsalltag auf den Boden der Tatsachen geholt werden. Mit sinkender Lernkurve steigt der Wunsch nach mehr Freiheit, doch ihr Sicherheitsbedürfnis hält sie im Job. Einige von ihnen entscheiden sich für die Kündigung, um ihr „eigenes Ding“ zu machen. Die anderen wollen nicht selbständig sein und trotzdem mehr Freiheiten haben, da sie die Vorteile von zunehmender Digitalisierung und immer besserer Infrastruktur sehen, werden jedoch von traditionellen Unternehmenskulturen ausgebremst.

Auf der anderen Seite klagen Unternehmen über zu wenige Fachkräfte und lassen sich allerlei einfallen, um neue Mitarbeiter zu finden und zu halten. Doch Modelle wie Teilzeit oder Remote Work rufen immer noch an vielen Stellen Skepsis hervor oder liegen sogar außerhalb des Vorstellbaren.

Ich glaube, dass es für Unternehmen eine riesige Chance ist, sich mit einer flexiblen und in Teilen ortsunabhängigen Arbeitsweise zu beschäftigen. Meine These ist, dass etablierte Unternehmen von digitalen Nomaden lernen können, wie sie ihre Arbeitskultur individueller gestalten und flexibler auf den Menschen ausrichten und so mehr begeisterte Mitarbeiter finden und halten können.

Als Inspiration möchte ich fünf konkrete Anregungen geben, wie Unternehmen von mehr Flexibilität in ihrer Arbeitskultur profitieren können.

1) Ortsunabhängiges Arbeiten im Team führt zu besseren Prozessen

Teams, die erfolgreich remote (das heißt „verteilt“/nicht an einem Ort/ortsunabhängig) arbeiten, zeichnen sich durch die folgenden Eigenschaften aus: Sie vertrauen sich, haben transparente und klare Prozesse, geben sich Freiheiten und tragen gleichzeitig Verantwortung. Falls heute Prozesse noch nicht klar sind oder die Dokumentation lückenhaft ist, fällt dies in einem lokalen Team vor Ort weniger auf. Sobald aber ein Teil des Teams ortsunabhängig arbeitet, werden Schwachstellen im Prozess schneller offengelegt und können frühzeitig korrigiert werden. Somit wird jeder Schritt zu einem flexibleren Arbeiten langfristig mit besseren Prozessen belohnt und insgesamt kommt eine größere Prozessorientierung in das gesamte Unternehmen. Gute Dokumentation, klare Kommunikationsregeln, stabile Kommunikationstools und einfache Infrastruktur sind vier wesentliche Komponenten, die sicherstellen, dass die Zusammenarbeit entspannt und zuverlässig stattfinden kann. Bessere Prozesse führen letztendlich auch vor Ort im Büro zu effizienterem Arbeiten. Beispiele wie die Firma Automattic (die Macher von WordPress), deren knapp 400 Mitarbeiter komplett remote arbeiten, beweisen, dass ortsunabhängiges Arbeiten auch in größeren Teams möglich ist.

2) Flexible Arbeitsstrukturen erhöhen die Chance exzellente Mitarbeiter zu finden

Für einen neuen Job umzuziehen ist nicht für jeden etwas. Wenn ein Unternehmen remote Arbeit anbietet, eröffnen sich komplett neue Möglichkeiten des Recruitings und der Mitarbeiterbindung. Gerade wenn Mitarbeiter mit hohem Verantwortungsbewusstsein, Eigenständigkeit und Kreativität gefragt sind, ist es angebracht, flexible Arbeitsstrukturen anzubieten. Dies allein führt schon zu einer Selbstselektion bei den Bewerbern. Zudem bestehen gute Chancen, dass dadurch insgesamt die Personal- und Infrastrukturkosten sinken, zum Beispiel weil das Büro kleiner ausfallen kann. Manch einer denkt nun vielleicht, dass der interne Austausch leidet. Teams, die schon remote arbeiten, können das widerlegen. Der Austausch wird durch regelmäßige Videokonferenzen und durch den ein oder anderen unterjährigen Team-Retreat sichergestellt. In dieser Zeit lernt man sich sehr persönlich kennen und schafft die Grundlage für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit.

3) Der Wechsel des Arbeitsortes fördert die Kreativität

Foto: Sunny OfficeMit höherer Flexibilität kann jeder den perfekten Arbeitsplatz für die aktuelle Aufgabe wählen – ob Home Office, Coffee Shop oder doch mal das Büro. Was unter digitalen Nomaden gang und gäbe ist, ist immer noch scheinbar kompliziert für traditionelle Unternehmen. Dabei ist es doch so einfach – Laptop, Handy und mobilen Router einpacken und einfach einen Tag im Café am See arbeiten. Das Ausbrechen aus der Routine und die neuen Eindrücke fördern die Kreativität. Das kann jeder einzelne für sich umsetzen oder auch das ganze Team. Warum nicht einfach eine Woche in einem Haus am Meer arbeiten, wenn es den kreativen Prozess unterstützt? Wir sammeln selbst seit einigen Jahren mit unserer Firma Sunny Office die Erfahrungen, dass eine schöne neue Umgebung Teams zusammenschweißt und viele kreative Lösungen hervorbringt.

4) Flexible Arbeitszeiten fördern Produktivität und Zielerreichung

Wer schon einmal in einem traditionellen Unternehmen mit Vollzeitanstellung und 30 Tage Jahresurlaub gearbeitet hat, kennt die schiefen Blicke, wenn man früher aus dem Büro geht, weil man sein Tagesziel schon erreicht hat. In klassischen Arbeitszeitmodellen werden die bestraft, die wirklich produktiv sind. Wer noch Zeit hat, bekommt eben noch mehr Arbeit. In Teams, die ortsunabhängig arbeiten, zählen Vertrauen und das Erreichen von Zielen. Jeder übernimmt Verantwortung für seine Aufgaben und man verlässt sich aufeinander. Will ein Mitarbeiter weniger Stunden als die üblichen arbeiten, ist das nur positiv, da er oder sie dann produktiver ist. So kann jeder selbst entscheiden und sich genug Zeit für die Familie oder für das eigene Projekt einräumen.

5) Hilf jedem Mitarbeiter dabei, sein persönliches Warum und die individuelle Position zu finden – so bringst du hohe Motivation ins Unternehmen

Was digitale Nomaden verbindet ist, dass sie wissen, was sie antreibt, und dass sie daher sehr bewusst entscheiden, woran sie arbeiten. Ich habe sehr gute Erfahrungen damit gemacht, jedem Teammitglied die Fragen zu stellen: „Was treibt dich an, was willst du erreichen, was willst du lernen, wo willst du dich einbringen?“ In unserer Ausbildung (Schule, Universität, …) wird diese Frage nicht gestellt und viele können sie erschreckenderweise bis ins Erwachsenenalter nicht beantworten. In so einigen Firmen trifft die Herangehensweise, den Mitarbeiter beim Finden der Antwort zu unterstützen, auf Skepsis. Die Sorge wird geäußert, was wohl passiert, wenn sich jeder Mitarbeiter verwirklichen möchte. Eine Antwort darauf gibt die Firma Goretex, die zwar mit ihrer Produktion nicht ortsunabhängig ist, aber ein beeindruckendes Beispiel für Individualität gibt. So bietet das Unternehmen jedem Mitarbeiter die Möglichkeit, herauszufinden, was ihn oder sie wirklich antreibt und welcher Bereich im Unternehmen am besten zu ihm oder ihr passt. Zudem sind alle Mitarbeiter Teilhaber und damit direkt am Erfolg des Unternehmens beteiligt und verantwortlich. Wer es schafft, das persönliche Warum jedes Einzelnen im Team mit dem Warum und der Vision des Unternehmens zu verknüpfen, gibt Raum, die persönliche Entwicklung mit der Weiterentwicklung des Unternehmens zu verbinden und schafft echten Flow.

Diese fünf Beispiele sollen zeigen, dass es sich lohnt, eine Veränderung der Arbeitskultur hin zu mehr Sinn, Freiheit und Verantwortung zuzulassen. Wichtig ist es jedoch auch, das Thema langfristig anzugehen, alle im Team einzubeziehen und nicht sofort riesige Effekte zu erwarten. Ein einzelner Kreativraum hat noch keine ganze Organisation umgestülpt. Aber in jedem Fall lohnt es sich anzufangen – und wenn es nur ein kurzer Retreat mit dem Team ist, um alle einmal aus dem Gewohnten herauszuholen und die Möglichkeiten einer veränderten Arbeitskultur spürbar zu machen.

Über die Autorin
Gastautorin Katja AndesKatja ist Unternehmerin und schreibt zu den Themen Arbeitskultur, Gründung und Marketing. Sie arbeitet ortsunabhängig und ist begeistert von den Möglichkeiten einer neuen Arbeitskultur. Mit Sunny Office bietet sie Team Events im sonnigen Süden an (von Team Building über Workshops bis Recruiting Events) und hilft Unternehmen dabei, eine flexiblere Arbeitskultur zu schaffen. Daneben veranstaltet Sunny Office auch Events für Freiberufler und Online-Unternehmer.