Im Interview: Der Initiator des ersten deutschen Films über digitale Nomaden

0

„Digitale Nomaden sind ortsunabhängig lebende Freigeister, die ihre Arbeit an jedem Ort der Welt ausüben können.“ – So lautet die knappe Definition zu den Protagonisten in der Beschreibung des ersten deutschsprachigen Dokumentarfilms über das digitale Nomadentum. Diese und ähnliche knappe Beschreibungen mögen es auf den Punkt bringen. Dass jedoch viel mehr hinter dem neuen Arbeits- oder besser Lebensmodell steckt, zeigt sich im Film Digitale Nomaden – Deutschland zieht aus sehr schnell.

Im Film begibt sich Thorsten Kolsch, Initiator und zentrale Figur der Dokumentation, auf die Suche nach Antworten zu den vielen Fragen, die er sich auf dem Weg zum digitalen Nomaden stellt. Im Film trifft er fünf etablierte digitale Nomaden, die ihre inspirierenden Geschichten erzählen und persönlichen Erfahrungen mit Thorsten teilen. Neben den Experten interessiert Thorsten zudem insbesondere die Meinung seiner Freunde und Familie. Sie werden die Änderungen wohl am stärksten zu spüren bekommen, kommen daher im Film ebenso zu Wort.

Auch wenn der Dokumentarfilm nicht alle Fragen beantworten kann, beleuchtet er zahlreiche spannende Aspekte des neuen Lebensstils und lädt zum Nachdenken ein. Ein paar Fragen, die uns zum Thema und dem Projekt selbst beim Anschauen gekommen sind, haben wir Thorsten in einem Interview gestellt. Welche Erkenntnisse ihn bei seinem Projekt besonders überrascht haben und was er aktuell macht und plant, lest ihr hier.

"Digitale Nomaden – Deutschland zieht aus"

Im Interview mit smartworkers: Thorsten Kolsch

Dein Film ist eine sehr persönliche Geschichte, in der du Einblick in deine Gedanken und Fragen sowie auch dein privates Umfeld gibst. Wann hattest du die Idee bzw. was hat dich dazu bewegt, deinen Weg zum digitalen Nomaden so öffentlich zu teilen?

Die Idee dazu hatte ich im September 2013, als ich ein Jahr lang auf die Wohnung meiner besten Freundin in Hamburg-Blankenese aufgepasst habe. Sie ging auf Weltreise, mein Hab und Gut war zwischengelagert und ich habe mich gefragt, ob es wirklich die einzig logische Konsequenz ist, nach ihrer Rückkehr eine neue Wohnung zu suchen. Dann bin ich auf die Bewegung der digitalen Nomaden gestoßen und habe mich mit einigen Protagonisten unterhalten. Ich stellte fest, dass ich gar nicht so weit von deren Lebensmodell entfernt bin. Ich lebe ohnehin eher minimalistisch, reise gerne und bin seit 16 Jahren im Bereich Online-Medien unterwegs. Die Idee zum Film ergab sich, als ich mich mit meinem Freund Tim Jonischkat über das Thema unterhielt. Er ist Filmer und ein solcher Dokumentarfilm ein tolles Projekt für ihn.

Was war die größte Herausforderung bei der Umsetzung des Filmprojekts?

Sicherlich die unterschiedlichen Themen, die in dem Film angesprochen wurden, so zusammenzuführen, dass daraus eine ansprechende und informative Doku wird. Dieses Filmprojekt ist sowohl für Tim als auch für mich unser Erstlingswerk, jedenfalls in dieser Dimension. So gesehen war die komplette Umsetzung eine einzige Herausforderung – im positiven Sinne.

Was hat dir am meisten Spaß daran gemacht?

Die Interviews, die ich geführt habe, waren nicht nur ein wichtiger Bestandteil des Films, sondern auch eine wichtige Erfahrung und Bereicherung für mich persönlich. Ganz besonders aber hatte ich mich auf das Gespräch mit meinen Eltern gefreut. Mir war es wichtig, sie im Film zu Wort kommen zu lassen und ihre Sicht schildern zu lassen.

Was war für dich persönlich die überraschendste Erkenntnis aus dem Projekt?

Wirklich überraschend war für mich die fast einstimmige Überzeugung seitens der digitalen Nomaden, auch im hohen Alter noch erfolgreich sein zu können. Stichwort „Passives Einkommen“. Das Selbstbewusstsein und die Überzeugung sind so sehr ausgeprägt, dass oft gar nicht erst in das Rentensystem eingezahlt wird. Man geht davon aus, auch in 30 oder 50 Jahren noch erfolgreich sein zu können. Das hat mich beeindruckt.

Was hat sich seit dem Projekt (persönlich) für dich verändert?

Das Projekt hat mich persönlich insofern verändert, als dass ich mein gesamtes, zwischengelagertes Hab und Gut tatsächlich aufgegeben habe. Ich lebe zwar überwiegend in Hamburg, bin aber sowohl in Bezug auf Besitztümer als auch arbeitstechnisch ortsunabhängig. Außerdem wurde mir einmal mehr vor Augen geführt, dass dich die Selbstständigkeit stärker im Leben macht als mancher Festangestellten-Job. Auch glaube ich, am Ende den sicheren Weg zu gehen. Schließlich bin ich unkündbar, mein eigener Boss. Ich kann selber entscheiden, wie viele Aufträge ich annehme und wie ich meinen Lebensunterhalt bestreite.

Im Interview mit smartworkers: Thorsten Kolsch

Du gehst mit den Kosten und Einnahmen für den Film sehr transparent um. Was hat dich dazu gebracht?

Uns ist es wichtig, mit dem Film auch ein kleines Zeichen zu setzen. Oft hat man in den Medien den Eindruck, alles würde sich nur um einen selbst drehen, als wäre das digitale Nomadentum ein sehr egozentrischer Lebensstil. Ich habe da andere Erfahrungen gemacht. Und um dem noch einen draufzusetzen, haben wir uns dazu entschieden einen Euro pro Download an atmosfair und alle Einnahmen ab der Gewinnzone an Viva con Agua Sankt Pauli zu spenden. Damit nachvollziehbar ist, wann diese Zone erreicht ist, war es uns wichtig, die Hosen komplett herunterzulassen – darum diese Transparenz.

Was war für dich die tollste Reaktion, die du auf deinen Film bekommen hast?

Es sind die vielen kleinen Reaktionen zwischendurch, in denen es heißt, wie inspirierend der Film sei. Ganz besonders habe ich mich über positive Reaktionen von Leuten gefreut, von denen ich nicht erwartet hätte, dass sie cool mit dem Thema umgehen. Besonders schön ist für mich zu sehen, dass die Doku inzwischen auch als Einleitung in das Thema für Freunde und Familie verstanden wird.

Was möchtest du den Zuschauern deines Films mitgeben?

Die Kernaussage des Films lautet kurz und knackig: „Start living now“. Wenn man an seine Fähigkeiten glaubt und in der Lage ist zu netzwerken, dann ist die größte Hürde bereits genommen. Und: Das eigene Umfeld reagiert oft cooler und verständnisvoller, als man zunächst denkt.

Am 1. Juli feierst du deinen ersten Geburtstag als Digitaler Nomade. Was war für dich der entscheidende Schritt, mit dem du wusstest: „Jetzt bin ich ein Digitaler Nomade“?

Das war definitiv der Moment, als ich all meine Möbelstücke von der Lagerbox wegfahren sah. Heute weiß ich: Besitz ist relativ. Heute investiere ich lieber in nachhaltige Erlebnisse als in kurzlebige Besitztümer, die in zwei oder fünf Jahren unbrauchbar werden. Dafür sind Share Economy und digitale Tools von nun an ein wichtiger Teil in meinem Leben. Für mich sind es echte Lebenserleichterer.

Was war für dich die größte Hürde beim Sprung ins Leben als Digitaler Nomade?

Da für mich die Entwicklung hin zu einem digitalen Nomaden ein langsamer Prozess war, gab es für mich nicht die eine große Hürde. Auch heute noch habe ich stets Hürden zu nehmen, sehe es aber im wahrsten Sinne des Wortes sportlich. Eine Hürde, auf die ich gerne in Zukunft verzichten möchte: Oft muss man sich hierzulande noch erklären, warum man sich für ein solch selbstständiges und vermeintlich unsicheres Nomaden-Leben entschieden hat. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass diese eingefahrene Denkweise irgendwann mal Geschichte sein wird.

Wohin geht die Reise? An welchen nächsten Meilensteinen arbeitest du – neue Filmprojekte, neue Abenteuer als DN oder etwas komplett anderes?

In den nächsten Monaten plane ich einige Kurztrips in Europa. Darunter Bologna, Lissabon und Budapest. Für mich sind diese Trips immer auch Bildungsreisen, um kreativen Input zu erhalten. Ich plane zwei weitere Online-Projekte, die allerdings mit Film nichts zu tun haben. Mehr demnächst natürlich auf meiner Webseite thokomedia.de. Tim hingegen hat mit unserem Filmprojekt Blut geleckt. Da kommt demnächst sicher noch mehr…

Vielen Dank an Thorsten, dass du uns Rede und Antwort gestanden hast! Wir wünschen dir viel Spaß und eine gute Reise für deine geplanten Kurztrips und viel Erfolg für die nächsten Projekte! Vielleicht gibt es ja irgendwann doch einen zweiten Teil… Wir freuen uns darauf.

Den Film Digitale Nomaden – Deutschland zieht aus sowie weitere Infos zu den Machern Thorsten Kolsch und Tim Jonischkat gibt es unter deutschland-zieht-aus.de.