Offline-Zeiten im Arbeitsalltag, oder: Die Utopie vom Offlinesein

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© BartPhoto - Fotolia.com
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Alle Jahre wieder: Die Zeitungen sind voll von Beschwerden, dass Arbeitnehmern immer weniger Erholung zur Verfügung steht. Vor Jahren war es die Diskussion um Powernapping am Arbeitsplatz, heute gilt der Unmut der Pflicht, permanent im Beruf erreichbar zu sein. Die Forderung nach Offline-Zeiten wird laut, in denen Arbeitnehmer buchstäblich abschalten können. Doch was so vielversprechend wie verlockend klingt, ist eher utopisch als praktikabel.

Der Traum von Offline-Zeiten

Eigentlich ist es paradox: Wir verfallen in Euphorie bei jeder neuen Produktpräsentation von Apple, shoppen bequem von zu Hause aus und auch am Arbeitsplatz verschafft uns die digitale Welt jede Menge Erleichterungen. Gleichzeitig wird es scheinbar zum Trend, offline zu sein und dem „wahren“, authentischen Leben ohne Technik-Schnickschnack zu frönen.  „The IRL Fetish“ nennt dies Nathan Jurgenson in einem Essay, indem er das Streben vieler nach dem entschleunigten, einfachen Leben „in real life“ beschreibt. Auch im Arbeitsleben träumen viele davon, nicht nur nach, sondern auch während der Arbeitszeit digitale Pausen einzulegen.

Arbeitnehmer im digitalen Hamsterrad

Ganz aus der Luft gegriffen ist dieser Traum nicht. Die Digitalisierung verändert unseren Alltag so grundlegend, wie es nicht einmal die Erfindung der Dampfmaschine im 18. Jahrhundert vollbracht hat, was immerhin die industrielle Revolution in Europa auslöste. Doch die E-Mail ist schneller als der Brief, und die Whatsapp-Nachricht schneller als die E-Mail, wodurch die Menge an zirkulierenden Informationen unweigerlich ansteigt und Arbeitnehmern eine deutlich höhere Reaktionsfrequenz abverlangt. Multitasking ist Alltag – und auch nach Feierabend hört die Erde nicht auf, sich zu drehen. Diesem Hamsterrad-Mechanismus mit festgelegten Offline-Zeiten einen Riegel vorzuschieben, klingt verlockend.

Utopie Offline-Zeit

Doch gibt es dieses „offline“ überhaupt noch? Oder hat die „digitale Seele“ nicht schon längst in jedem Moment des Alltags ihren Platz gefunden? In seinem Essay „Wir, die Netzkinder“ behauptet Piotr Czerski genau das und erklärt die Trennung zwischen online und offline für obsolet. Er beschreibt darin, wie die jüngere Generation „mit dem Internet und im Internet aufgewachsen“ sei: „Für uns ist das Internet keine externe Erweiterung unserer Wirklichkeit, sondern ein Teil von ihr: Eine unsichtbare, aber jederzeit präsente Schicht, die mit der körperlichen Umgebung verflochten ist.“ Die Omnipräsenz des Internets und der daraus entstehende hybride Zustand von Digitalem und Analogen setzt auch den Traum von Offline-Zeiten ein jähes Ende: „Offline“ ist Geschichte. Die Herausforderung vor allem auch für ältere Arbeitnehmer liegt lediglich darin, sich als „digital immigrants“ an diesen neuen Status quo zu gewöhnen.

Selbstdisziplin, Selbstreflexion und Kommunikation

Das funktioniert nicht über Offline-Zeiten, sondern wohl am besten über so traditionelle Stichworte wie Selbstdisziplin, Selbstreflexion und kluge Kommunikation. Ist es beispielsweise wirklich nötig, während der Arbeit an einem wichtigen Projekt Browser, Smartphone und co. laufen zu lassen? Das Risiko, im entscheidenden Moment abgelenkt zu werden, ist schier zu groß. Entsprechende Slots sollten im Kalender eingetragen und im besten Falle mit Chef und Kollegen abgesprochen sein, um die Konzentration für die aktuelle Aufgabe hochzuhalten.

Dennoch wird deutlich, dass das Reizthema auch von Arbeitgeberseite aufgegriffen werden sollte: Permanente Erreichbarkeit verbessert nicht zwangsläufig die Leistungsfähigkeit, sondern droht oftmals, sie zu mindern. Auch große Konzerne erkennen dieses Problem nach und nach: Bereits seit 2011 kappt Volkswagen die Verbindung zwischen Mitarbeiter-Smartphones und Mail-Server des Konzerns nach Feierabend für den Großteil der Belegschaft, und auch bei der Deutschen Telekom wurde die Freizeit zur E-Mail-freien Zone erklärt. Die Unternehmen geben damit ein deutliches Statement und erkennen an, dass Erholung in der DNA des Menschen steckt und nötig ist, um neue Aufgaben mit neuer Energie zu meistern.

Das galt jedoch schon vor Jahrtausenden, als Smartphone und Smartwatch noch Faustkeil und Sonnenuhr waren. Die Frage ist, wie jeder selbst, vor allem aber auch die ganze Gesellschaft mit diesem Problem umgeht. Ausschließlich offline jedenfalls wird die Lösung nicht zu finden sein.