Text oder Telefon: Stirbt die Audio-Kommunikation?

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CC by lioliz
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„Die Tage des Telefons sind gezählt“, meint heute die Zeit Online, und löste damit eine ganze Reihe kontroverser Kommentare aus. SMS, E-Mails und Instant Messenger würden dem heute 134-jährigen Medium endgültig den Rang ablaufen und sogar zu einer Renaissance des Schreibens an sich führen. Als Beleg dient eine US-Studie des Marktforschers Nielsen. Demnach ist die Zeit, die Amerikaner am Telefon verbringen, seit 2007 stetig gesunken. Dauerte ein durchschnittliches US-Gespräch 1993 noch 2,38 Minuten, so sind es 2009 nur noch 1,81 Minuten.

Als Gründe sieht die Autorin vor allem eine neue Etikette: Anrufen birgt die Gefahr, den anderen zu stören. Die Mail oder Message dagegen kann warten, bis es passt. Hinzu kommt das Moment der sozialen Überwindung. Im geschriebenen Text gibt der Autor weniger von sich Preis. Befindlichkeiten und soziale Unterschiede lassen sich verbergen und gerade bei heiklen Sachverhalten muss man sich den Rüffel nicht auch noch akustisch abholen. Damit bietet die Textbotschaft eine besondere Art von Schutz.

Warum aber gleich Tod des Telefons? Vor allem, warum sollte man angesichts rückläufiger Telefonate deren Ende prognostizieren?

Wie die zahlreichen Leser-Kommentare zum Artikel zurecht richtigstellen, ist allenfalls mit einer Austarierung des gesamten Ökosystems von Audio- und Textkommunikation zu rechnen. Klar ist die Mail überlegen, wenn es nur darum geht, Infobrocken zu verschicken. Und natürlich musste man früher oft zum Hörer greifen, wenn man nur die Öffnungszeiten seines Kinos erfragen wollte. Dinge, die man heute im Web erledigt.

Aber ein Requiem auf das Telefonat klingt schlichtweg abwegig. Denn es gibt nun mal
Kommunikationsaufgaben, die weit mehr sind, als der Austausch von Texten. Miteinander sprechen heißt, zahllose Sub-Informationen transportieren, die uns oft nicht einmal bewusst werden. Eine Prise Humor, unterschwellige Skepsis, kämpferisches Verhandlungsgebahren: Wer ernsthaft zwischenmenschliche Dinge zu regeln hat, muss das volle Register der menschlichen Ausdrucksmittel nutzen. Genug fällt schon beim Telefonieren weg: Gesten, Blicke, Körpersprache. Aber dass das Telefon unendlich mehr kann, als der Brief, genau das war doch eigentlich mal der Grund für seinen Siegeszug, oder nicht?