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Mensch als Morsealphabet – Die Grenzen der virtuellen Kommunikation

18. Juni 2010 Jan-Philipp Sonnenberg 2 Kommentare

CC by josh.liba


Jochen Mai, Journalist und Autor der Karrierebibel, wendet sich in seinem vielgelesenen Blog gerade der Frage nach dem Verhältnis von virtueller Kommunikation und realer Begegnung zu. Er zitiert den US-Wirtschaftsforscher Northcraft, der in verschiedenen Experimenten mit Studenten die Auswirkung von echten Meetings auf Identifikation und Motivation von Projekt-Teams untersucht hat. Northcraft’s Fazit: Rein virtuelle Arbeitsformen – egal wie gut die Kommunikationstools auch sind – erzielen nicht die Qualität von Teams, die sich auch leibhaftig begegnen.

Und Jochen Mai ergänzt: Ich teile die Einschätzung zu 100 Prozent. Ich selbst habe über das Bloggen, Twittern und Facebooken sehr viele neue Leute kennengelernt. Aber wirkliche Beziehungen, die über gelegentliche Retweets deutlich hinausgehen, sind immer erst entstanden, nachdem man sich irgendwo auf einen realen Kaffee oder ein Bier getroffen hat.

Tatsächlich dringt die virtuelle Kommunikation – über SMS, Email, Twitter, Facebook etc. – heute in immer weitere Lebensbereiche vor. Kommunikation ist heute schnell, mühelos und raumgreifend wie nie zuvor. Per Smartphone oder Laptop lässt sich nahezu aus jeder Lebenslage kommunizieren.

Umgekehrt bleibt aber auch vieles auf der Strecke. Für alle Digital Natives, die virtuelle Kommunikation als selbstverständlich betrachten, haben wir einmal die wichtigsten Unterschiede zusammengetragen.

Gestik und Mimik
Wie oft würden wir gerne ein paar Gesten oder einen Gesichtsausdruck in einer Email unterbringen. Unsere reinen Gesprächsinhalte lassen sich dadurch mühelos ergänzen und kommentieren – Ohne viele Worte! In der virtuellen Kommunikation fällt das flach oder überlebt bestenfalls als Emotikon.

Stimme und Blick
Wohl jeder kennt sie: Zuhörer, die das Gesagte nicht unbedingt sofort selbst beurteilen, sich stattdessen aber voll auf den Sprecher, seine Stimme und seinen Blick konzentrieren. Sagt er die Wahrheit? Hat er gute Absichten? Für einen geübten Beobachter ist der „Brustton der Überzeugung“ oder der „Blick in die Augen“ der wichtigste Eindruck des Gegenüber. Das Gesagte kommt später. Virtuell geht das natürlich nicht.

Auf den Gegenüber eingehen
Geübte Sprecher hören schnell heraus, wo der Gesprächspartner steht, welche Informationen, Einstellungen und Absichten er hat. Mit gezielten Nachfragen lässt sich schnell ein gemeinsamer Standpunkt finden oder ein gemeinsamer Wissensstand herstellen. Virtuell bräuchte es dazu zahllose Mails.

Bühne frei!
Meetings setzen Adrenalin frei. Ein bisschen Lampenfieber ist gut fürs Hirn und bringt uns in Schwung. Das entspechende Publikum vorausgesetzt, gehen wir ruhig mal in die Vollen und verrennen uns sogar. Aber nicht selten kommt man nur so auf neue Ideen. Nichts dergleichen auf der virtuellen Bühne. Verschanzt hinter Twitter-Avataren und Facebook-Profilen kommt das alles nicht an uns heran.

Smalltalk
Wichtigste Kulturtechnik überhaupt! Sitzt uns der Gesprächspartner erst einmal gegenüber, gibt es lauter Dinge, die in den Blick kommen und zum spontanen Plausch einladen. Ein Kleidungstück, ein Accessoire, die Einrichtung, eine Getränkewahl, die Anreise, Leute, die draußen vorbeigehen. Packt man es richtig an, lernen wir unseren Gegenüber in einer Stunde besser kennen als in 100 Mails.

Menschliche Nähe
Oft gehörte Kritik am „Internet-Konsum“: Das Web macht einsam. Und tatsächlich kann die treueste Followership und der freundlichste Blog-Kommentar nicht das Gefühl einer realen Begegnung ersetzen. Egal, wie das Gespräch verläuft. Es fühlt sich einfach nach Realität und einem Stück Leben an.

Sieht man diese Defizite einmal im Zusammenhang, dann stellt sich vor allem die Frage: Ist virtuelle Kommunikation überhaupt effizient? Macht die atemberaubende Geschwindigkeit der virtuellen Kommunikation ihre Ausdrucksarmut wett? Virtuelle Kommunikation, das ist irgendwie ein ganzer Mensch gepresst in ein Morsealphabet…

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2 Kommentare »

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